Ich wurde neulich gefragt, wie das Leben mit Kindern in Brasilien eigentlich ist. Und obwohl ich dich in meinen Instagram Stories, auf Youtube oder auch hier auf dem Blog oft in mein Leben eintauchen lasse, habe ich diese Frage so konkret noch nicht beantwortet.
Hier kommt sie nun für dich: Die Antwort auf die Frage, wie wir als Familie mit Kindern in Brasilien, oder genauer in Rio de Janeiro leben.
Rio de Janeiro: Ein Leben mit Familie zwischen Reichtum und Armut
Aber fange ich mal von vorne an. Ohne Kinder war das Leben hier für mich immer ein Abenteuer und ich habe es geliebt, neue Ecken der Stadt zu entdecken, die Kultur kennenzulernen und auch deren Gegensätze. Jetzt hat sich meine Sichtweise mit Kindern leider doch ein wenig geändert.
Brasilien steht kurz vor der Wahl des oder der neuen Präsident/in und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Nach den Olympischen Spielen haben viele Menschen ihre Jobs verloren und auch heute gibt es noch viel zu wenig Arbeitsstellen. Dies fördert natürlich die Kriminalität und der müssen wir leider jeden Tag ins Auge sehen. Die Armut wächst, die Infrastruktur und Wirtschaft verbessern sich nicht – eher im Gegenteil. Manche Baustellen, die bereits zu WM begonnen wurden, sind noch bis heute nicht fertig gestellt.
Der Verkehr und die Kriminalität in Rio de Janeiro
Ich bin Gott wirklich sehr dankbar, dass uns bis jetzt noch nie etwas passiert ist, wie ein bewaffneter Überfall. Aber wir gehen und fahren täglich mit offenen Augen durch die Stadt. Mittlerweile mit Amelie auf dem Beifahrersitz (mit deaktiviertem Airbag versteht sich) und ich mit Arthur auf der Rücksitzbank. Der Grund dafür? Im Falle eines Überfalls, können Ivan und ich je ein Kind schnappen und verhältnismäßig schnell aus dem Auto verschwinden. Den Rückspiegel haben wir immer im Blick und ich schaue als Beifahrer auch gerne ein zweites Mal, was so um uns herum im Verkehr passiert. Achja, unsere Scheiben sind übrigens abgedunkelt. Nur ein gepanzertes Fahrzeug würde hier für die maximale Sicherheit sorgen. Die sind dann aber auch sehr teuer, wenn auch nicht selten in Rio anzutreffen.
Die Erziehung und Bildung in Brasilien
Wenn ich mit meinen Kids die Wohnung verlasse, treffen wir zu 90% auf Nachbarskinder mit Kindermädchen. Denn die übernehmen zumeist in den ersten 2 Jahren die Betreuung der Kinder. Der Mutterschutz gilt in Brasilien nur für 4 Monate ab Geburt. Danach müssen die Mamas wieder arbeiten gehen, um ihre Jobs nicht zu verlieren. Rechtlich gesehen hat jede Mama ab dann sogar Anspruch auf ein paar Stillpausen. Aber mal ehrlich – wer nimmt denn dann das Kindermädchen oder die Oma mit ins Bürogebäude, um dort auf die nächste Stillmahlzeit zu warten?
Manche Kindergärten oder Krippen nehmen aber bereits auch Kinder mit 4 Monaten auf. Doch wer in Brasilien eine gute Struktur und Förderung für seine Kids möchte, muss auf private Einrichtungen setzen. Und ab dann beginnen für viele Familien die Kopfschmerzen, denn die Bildungseinrichtungen sind in Brasilien nicht gerade kostengünstig. Nur zum Vergleich: ein Kindergartenplatz für den Vormittag kann gute 600 EUR pro Monat kosten. Will man sein Kind ganztägig unterbringen, zahlt man monatlich gut das Doppelte.
Komfort und Luxus für unser Familienleben
Auf der anderen Seite bietet der Brazilian Lifestyle aber auch jede Menge Vorteile und vor allem Komfort. So haben wir in unserem Haus bzw. Condominio, wie man die Wohneinheiten hier nennt, viele Extras. Wir haben einen Pool, ein Fitness-Studio, einen Tennisplatz, einen Fußballplatz, mehrere Spielplätze, einen Whirlpool, zwei Saunas und eine Area zum Entspannen zur Auswahl. Auch nimmt immer jemand meine Post entgegen und es gibt sogar eine Art Rezeption, wie im Hotel. Für die Sicherheit sorgen Wachmänner am Eingang und um den Müll wegzubringen, muss ich auch nur 2 Schritte im Hausflur machen.
Für Arthur ist es bisher auch immer super, da wir jedes Mal beim Spielen auf Nachbarskinder treffen und er nie alleine ist. Allerdings bewegen wir uns dann auch nicht wirklich weg von unserem Zuhause. Denn öffentliche Verkehrsmittel sind nur bedingt vorhanden und nicht Kinderwagentauglich. Da bleibt also nur das Auto – aber das ist fast den gesamten Tag mit Papa unterwegs.
Wenn ich das Auto dann aber mal habe und mich zum Supermarkt oder zu anderen Geschäften, wie der Bank oder der Post begebe, kann ich wieder profitieren. Für Schwangere und Frauen mit Kindern gibt es zum Beispiel extra große Parkplätze und an den Kassen und Schaltern gibt es für Schwangere, Ältere und Mamas mit kleinen Kindern immer Priorität. Ich komme also immer recht schnell dran.
Momlife in Rio: Das fehlt mir wirklich!
Was mir persönlich wirklich fehlt, ist die Sicherheit und Freiheit. Sich einfach ins Auto zu setzen, eine Freundin zu besuchen und wenn nötig auch Mitternacht erst wiederzukommen. Das müssen wir uns hier ganz genau überlegen. Und manche Freunde wohnen so weit weg und in eher gefährlichen Gegenden, sodass ich da mittlerweile nicht mehr mit meinen Kindern hinfahren möchte.
Das mag für dich jetzt bestimmt komisch klingen. Und ich habe meine Freunde wirklich lieb, aber mittlerweile lade ich sie fast nur noch zu uns nach Hause ein. Aber damit ihr mal einen kleinen Einblick bekommt, hier eine Begebenheit, die ich niemals vergessen werde:
Wir waren vor ein paar Monaten zu einer Pre-Wedding-Party von Freunden eingeladen. Ich wusste, dass sie ein wenig weiter weg wohnen, aber habe mir da keinen Kopf gemacht. Also haben sich Ivan, Arthur und ich (damals schwanger mit Amelie) mit dem Auto auf den Weg gemacht. Als wir den Ort der Party ins Navi eingaben, haben wir uns auch noch nix weiter gedacht. Wir kamen dem Stadtteil letztlich näher und Ivan meinte schon, dass dieser Weg vom Navi womöglich nicht der Beste sei. Als uns das Navi dann auf einen kleinen Feldweg bergaufwärts schickt, an dessen Ende zwei Barrikaden standen, ist Ivan umgedreht und wurde leicht nervös. Sonst ist er der sicherste Fahrer und kennt sich in Rio überall super aus. Nun gut, so sind wir dann wieder auf die normale Straße zurück und haben an der nächsten Tankstelle angehalten. Dort riefen wir die zukünftige Braut an, die ca. 5 Minuten später mit ihrem Auto ankam, um uns zur Location zu begleiten.
In der Tankstelle rief sie uns noch zu, dass wir unsere Fenster herunterfahren sollten. Da dachten wir noch an einen Witz und sind ihr einfach gefolgt. An der nächsten Ampel betonte sie dies aber nochmal. Okay gut, da sie so darauf bestand, hat Ivan sein Fenster nach unten gefahren.
Drei Ecken weiter bogen wir dann in eine kleine Comunidade ein, eine Favela, wenn man es so nennen mag. Und Ivan sprach ganz plötzlich in einem relativ ernsten Ton und auf Deutsch zu mir, dass ich nicht nach links schauen soll und fuhr zur gleichen Zeit auch mein Fenster nach unten. Ab da an begann ich zu beten und blickte kurz im linken Augenwinkel in eine kleine aber feine Waffe, die bereits auf unser Auto gerichtet war. Was für ein Schreck! Ich hatte natürlich gar keine Ahnung, was da passierte. Unsere Freundin im Auto vor uns rief dem Typen mit der Waffe dann zu, dass wir zu ihr gehören und zu einer Feier fahren. Ja vielen Dank, aber warum hat sie uns denn nicht gewarnt? Ich habe sie echt lieb. Aber daran habe ich gesehen, wie normal dieses andere Leben doch für viele Menschen hier ist. Und wie normal das für eine Stadt wie Rio de Janeiro leider auch ist.
Es gibt sicher Menschen in Rio, denen so etwas noch nie passiert ist. Und andere, die in weitaus gefährlicheren Situationen unterwegs waren. Uns ist das schon einmal passiert, als wir einen falschen Weg genommen haben. Allerdings hat mich das damals weniger gestört, denn da hatten wir noch keine Kinder. Mittlerweile hat sich meine Sichtweise doch geändert und ich bin mir mehr und mehr bewusst, was Sicherheit und Frieden für einen Unterschied machen. Und im selben Augenblick frage ich mich auch, was Waffen, Gewalt und vor allem das frühe Aufwachsen damit für das Leben eines Kindes bedeuten.